Uelsen in Zeiten der Inflation im Jahre 1923
Ein Bericht von Willy Friedrich in der Zeitungsbeilage „Der Grafschafter“ vom Januar 1959
Der Alkohol soll nicht zuletzt in diesem interessanten Spiegelbild eine gebührende Rolle spielen. Gerade unsere Vorfahren wussten ihn zu schätzen, tröstete er sie doch ab und an über trostlose Stunden und Tage hinweg. Solche, weniger erfreuliche Situationen, hat es früher wie heute gegeben. Früher kostete der Schnaps aber entschieden weniger als in unseren, vom Wirtschaftswunder hell überstrahlten Tagen.
Das ein Schnäpschen auch sehr, sehr teuer sein kann, rücken die alten Aufzeichnungen der Gaststätte Hölters (2021 Uelser Hof) ins richtige
Licht.
Wir blenden zurück in die erste Inflation. Die Mark tanzte sich zu Tode. Sie wuchs „über sich selbst hinaus“, um im Wert ständig zu fallen, geringer zu
werden.
Astronomische Zahlen tauchten auf. Wie ein böser Spuk muteten sie an. Wie ein Alpdruck hemmten sie das gesunde Atmen der Volkswirtschaft. Auch unsere Heimat blieb nicht verschont, obwohl sie „ganz weit draußen“ den heißen Krieg verhältnismäßig gut überstanden hatte.
15. Juli 1923: Ein Klarer (Schnaps) kostete 1000 Mark. Für einen Weinbrand hingegen musste „seine Majestät der Gast“ 1500 Mark auf den Tresen legen. Ebenso hoch im Kurs stand ein Schnäpschen „Vom alten Fass“, ein Boonekamp und ein Steinhäger. Das Glas Bier (3/20) wurde mit 1500 Mark berechnet, während der halbe Liter 4500 Mark kostete. Eine Tasse Bohnenkaffee schlug indes mit 2000 Mark zu Buch.
Wie eine Spirale drehte die Preisskala sich hoch und höher. 15. August 1923: Ein Klarer 25000 Mark, ein Glas Bier 30000 Mark! Und am 15. September, also einen Monat später im wilden Taumel der Geldentwertung, stand ein Klarer und das Glas Bier mit zwei Millionen Mark im Kurs!
Für unsere westlichen Nachbarn war es eine herrliche Zeit! Sie kamen in hellen Scharen über die Grenze und lebten, mit einigen Cents in der Tasche, wie
Millionäre. Hollands Währung war nämlich, unberührt von dem Erdrutsch in Deutschland, hart geblieben. Verständlicherweise versuchte diesseits des Schlagbaumes jeder auf jede nur mögliche Weise in
den Besitz von Gulden zu kommen. Es gab tolle Spekulationen und lohnende Besitzgewinne.
Doch zurück zu den simplen Schnäpsen. Ihren geldlichen Gegenwert musste man beinahe im Rucksack mit sich schleppen. Man schrieb den 19.10.1923: Ein Klarer
30 Millionen.
Und am 15. November: Ein Klarer 45 Milliarden Mark oder 5 Goldpfennige oder man lese und staune 3 niederländische Cents! Am 21. November bezahlte man für
den einfachen Schnaps 100 Milliarden und für eine Flasche Pschorr-Bräu 1 Billion! Das war das Ende. Wenigstens, soweit es sich um die Niederschrift der Familie Hölters
handelt.
Ein kleiner Abschnitt aus der vielgestaltigen Geschichte unseres heimischen, gastronomischen Gewerbes. Meines Erachtens aufschlussreich genug, um hier für
die Nachwelt festgehalten zu werden.