"Is dr well bij de Becke?"
Von Willy Friedrich
Zu den uralten Fluren in Uelsen gehören die Marschwiesen, plattdeutsch und im Volksmund „döar Dag en Tied“ mit „Maß“ bezeichnet. Ein Straßenschild im Ortsteil Brink weist auf die Flur hin. Es handelte sich einst um ein typisches , flaches und sumpfiges Feuchtgebiet, das sich zwischen der Straße „Am Rott“ und der Neuenhauser Straße, bis Lemke, erstreckte.
Teilflurbereinigungen verbunden mit umfangreichen wasserwirtschaftlichen Maßnahmen, und nicht zuletzt die neue Umgehungsstraße (B 403) haben das Gesicht der Landschaft verändert. Auch die Nutzungsart ist eine andere geworden. Während die Marschwiesen früher ausschließlich aus Grünland bestanden, das qualitativ infolge der Vernässung und des starken Binsenbewuchses Wünsche offen ließ, kann heute auf Teilflächen sogar Mais angebaut werden.
Fauna und Flora wandelten sich parallel mit den landeskulturellen Arbeiten. Früher waren in dem Feuchtgebiet noch Vogelarten wie Brachvögel (Tütwelp) und Ziegenmelker seßhaft.
Besitzer der Marschwiesen waren zahlreiche Ackerbürger und Bauer Scholte-Meyerink (Schulten Moate). An den Besitzverhältnissen hat sich seither wenig geändert. Die sogenannten kleinen Leute nutzten ihre Parzellen jedoch schon lange nicht mehr, so daß sie ihre einstige wirtschaftliche Bedeutung verloren haben.
Im Süden werden die Marschwiesen durch den „Marschbölt“, eine leichte Bodenerhebung, abgegrenzt. „Upn Marschbölt“ wurden vor sieben Jahrzehnten Phosphatknollen gegraben. Sie dienten der Thomasmehlherstellung. Die Knollen wurden mit Pferdefuhrwerken nach Neuenhaus transportiert und dort auf Bahnwagen verladen.
Am östlichen Rand des gegenüberliegenden „Rotts“ baute die Gemeinde Uelsen ihre 1965 in Betrieb genommene Kläranlage, die seither wiederholt vergrößert wurde. Der Standort ist ideal, weil er für die Bewohner des Dorfes so gut wie keine Geruchsbelästigungen mit sich bringt.
Zum Bewuchs der Wiesen gehörte früher das Zittergras. Etwa in der Mitte des Gelände, unterhalb von „Küper´s Goarn“, gab es eine „Süso“. Dabei handelte es sich um „schwimmenden Morast“, der sich trampolinähnlich auf und ab bewegen ließ und infolge dessen als als besondere Anziehungspunkt für die Dorfjugend galt.
Ein weiterer Anziehungspunkt war, vor allen in den Sommermonaten, die Marschbecke. Sie führte in trockenen Jahreszeiten kaum Wasser und diente gleichzeitig als Weg über den die vollbeladenen Heuwagen schaukelten. Wenn die Sonne vom Himmel strahlte, war die Marschbeckke schnell zu einer kleinen „Badeanstalt“ umfunktioniert. Das Wasser wurde kurzerhand aufgestaut. Mit lauten Hallo warfen die Kinder sich hinein. Erst sehr viel später entstand auf dem heutigen Waldbadgelände eine öffentliche Freibadeanstalt.
An der Südwestseite der Marschwiesen, wo heute die Häuser Balderhaar stehen, erstreckte sich ein „Bleke“. Dort bleichten sich die Bürger ursprünglich ihr selbstgewebtes Leinen sowie ihre Bett-, Leib- und Küchenwäsche. Am Rande der „Bleke“ befand sich ein Brunnen. Sein Wasser diente dem beständigen Begießen der Bleichwäsche.
Die Bezeichnung „Upn Maß“ ruft auch Erinnerungen an die guten alten Rieselwiesen wach. Es handelte sich um Grasparzellen, die mit Abwässern gedüngt wurden.
Mit den Rieselwiesen hat es seine besondere Bewandnis: Von den Hauptgräben leiteten die Flächenbesitzer kleine, schmale Nebengräben durch die Grünländereien. Stauendes Wasser bewirkte einen üppigen Graswuchs und ermöglichte dadurch eine frühe Mahd. Mit der Schubkarre transportierten die Ackerbürger das mit der Sense gemähte Gras nach Hause.
Auch in anderen Gegenden Deutschland hat es einst Riesel- oder Wasserwiesen gegeben. Und auch dort akzeptierten die Besitzer eine Art Wiesen- und Wasserordnung, die Rechte und Pflichten der Wassernutzer regelte.
Bereits im Herbst begann einst „Upn Maß“ das Wässern, von dem viele Eigentümer profitieren wollten. Es gab demzufolge immer wieder einige Ackerbürger, die besterbt waren, das fruchtbare Abwasser oft und lange über ihre Wiesen rieseln zu lassen. Zuvor mußten sie den Bachlauf allerdings zu ihren Gunsten stauen. Nachbarn versuchten sich gegenseitig „das Wasser abzugraben“. Wer damals Glück hatte konnte ganze Nächte wässern. Argwöhnisch wachte man darüber, daß die Wässerzeiten einigermaßen gerecht verteilt waren. Wer viel Zeit hatte, konnte öfter „dieken“. Bevor der jeweilige Interessent die Becke zu seinem Gunsten staute, was meistens abends bei Anbruch der Dunkelheit passierte, mußte er laut und deutlich fragen: „Is dr ock well bij de Becke?“ Lautete die Antwort „Ja“ war das Wässern nach ungeschriebenen Gesetz für die folgende Nacht „vergeben“. Gab es keine Antwort, konnte der „Dieker“ den Bach über seine Wiese rieseln lassen. Im folgenden Frühjahr zahlte sich die Mühe der „Dieker“ aus.