Aus der Zeitungsbeilage „Der Grafschafter“ vom Februar 1954 von Georg Kip
Volksleben und Volksbrauch ist einem steten Wechsel unterworfen. Er vollzieht sich manchmal in langen Zeiträumen. Doch manchmal auch in einem ganz raschen Tempo, auch wenn man sich daran gemacht hat, über das Leben der Grafschafter Bevölkerung regelmäßig Aufzeichnungen zu machen und durchstöbert diese Notizen hin und wieder, so fällt es doch auf, wie manches, das noch vor Zeiten Sitte und Brauch war, restlos verschwunden ist. Und das auch viele aus der älteren Generation sich der früher noch gebräuchlichen Dinge entsinnen. Deshalb ist es so wichtig, dass der Heimatverein sich darum müht, diese Erinnerungen aus dem Volksleben unserer Väter und Vorväter zu sammeln und sie zumindest in unserem Schrifttum festzuhalten.
Ganz und gar verschwunden ist selbst die Erinnerung an die „Petri-Stuhlfeier“, die bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts in einigen Orten unseres Kreises die Feier des Jahres überhaupt war. Während „Sünte Peter“ aber z.B. in Neuenhaus und Nordhorn und den anderen größeren Orten schon länger als Festtag nicht mehr begangen wurde, hielt sich der Feiertag in Uelsen (und, wenn ich mich nicht irre, auch in Gildehaus) noch lange.
Die eigentliche Bedeutung des 22. Februars, eben des Tages von „Sünte Peter“, lag drin, dass bis zu diesem Tage alle öffentlichen Lasten und Abgaben
beglichen sein mussten. Das war aber nicht nur in den Grafschafter Gemeinden so, sondern auch vielfach anderwärts. Darüber kann man in alten Stadtakten Unterlagen genug finden. Im Neuenhauser
Bürgerbuch ist z.B. zu lesen, dass bis zum 22. Februar unter allen Umständen, die im Jahr vorher etwa Neuzugezogenen ihr Bürgerrecht erwerben und ihre dafür fällige Abgabe bezahlen mussten. Es
wurde also bis zu diesem Tage gewissermaßen ein endgültiger Rechnungsabschluss vorgenommen, und die hohe Obrigkeit wollte an ihm den Schlussstrich fürs alte Jahr gezogen wissen. Dann, wenn man
auf dem Rathaus oder dem Gemeindeamt diesen Rechnungsabschluss vollzogen hatte, herrschte Freude bei den Stadtvertretern und den Bürgern. Sie äußerte sich durch einen gemeinsamen Verzehr und
fröhlichen Umtrunk. Ob außer in Uelsen und Gildehaus der 22. Februar als gemeinsamer Festtag gehalten wurde ist mir nicht bekannt. Doch darf man das als wahrscheinlich
annehmen.
Über die „Sünte-Peter-Feier“ in Uelsen liegen genaue Angaben vor, und ich will sie zur Freude aller derjenigen, die sich gern mit den Männern des
Heimatvereins in alten Erinnerungen ergehen, hier im „Grafschafter“ wiedergeben.
Die Feier des Tages, an dem man die geldlichen Sorgen dem Staat und der Gemeinde gegenüber losgeworden war und an dem man auch schon den nahenden Frühling
begrüßen mochte, war von den Uelser Eingesessenen recht beliebt. Am Vormittag des „Sünte Peter“ traf sich die alte und die junge Männerwelt und zog dann ohne große Ordnung – das in gleichem
Schritt und Tritt machten schon die Holzschuhe unmöglich, die damals noch die allgemeine Fußbekleidung war – zu einer Wiese (wahrscheinlich Nackenberg), und dort begann man aus einer alten
Feuersteinflinte auf den aus Holz gezimmerten Vogel zu schießen. Den Männern hatte sich selbstverständlich die ganze Jugend angeschlossen. Sie kam auch auf ihre Kosten. Denn auf der Festwiese gab
es einen Stand, der „Steken“ und „Stropkuchen“ und sonstige einfache Leckereien feilbot. Es war für die Erwachsenen auch die Gelegenheit, einige Stüber – viel standen keinem zur Verfügung – in
Alkoholika umzusetzen. Es gab in erster Linie eine Art „Met“ zu trinken, dass ein geschäftstüchtiger Handelsmann aus der Nähe aus Honigrückständen vom Jahr vorher zu gewinnen wusste. Da man sich
bei diesem bescheidenen Angebot beim besten Willen nicht die Nase begießen konnte, soll es bei dem „Sünte Peter“ auch stets recht friedlich hergegangen sein. So versicherten wenigstens die alten
Uelser, die das Fest noch in lebendiger Erinnerung hatten.
Wer nun mit dem gefährlichen (für den Schützen!) Feuersteinschloss zu guter Letzt den Rumpf des Vogels abschoss, wurde zum König ausgerufen und hatte die
Verpflichtung im kommenden Jahr die Vorkehrungen für das Fest zu treffen. Als äußeres Zeichen seiner Würde trug er den Königshut, eine gelb weiße Schärpe und einen gewaltigen Schleppsäbel.
Während des Schießens vergnügten sich die dieses Sports Unkundigen oder die Ängstlichen – die Schützen mussten buchstäblich durch die Flamme des Pfannenpulvers hindurchsehen – mit Partieschlagen.
Dabei musste mit verbundenen Augen mit einem Stock ein weißer Torf getroffen werden, den man mit Hilfe einiger Hühnerfedern zu einem vogelähnlichen Gebilde gemacht hatte. Hierbei gab es keine
Königswürde zu erringen, sondern den Siegern winkten lediglich kleine Sachpreise, meist aus den vorhin erwähnten Herrlichkeiten bestehend, also aus etwas Trinkbarem für die älteren Teilnehmer und
Naschereien für die Jugend.
War der Vogel endlich gefallen und der König ausgerufen und mit den Zeichen seiner Würde angetan, so ging es zum Dorf zurück. Voran ein Trommelschläger mit
einem dem Dorfe gehörenden Instrument. Wenn es hochkam, trat auch noch ein Bläser hinzu. Dann folgte ein Fahnenträger mit einer Fahne, die um 1845 recht löcherig und fadenscheinig war. Dem
Vernehmen nach hatte diese alte Fahne der Kirchspiels-Kompanie in der Schlacht von Waterloo vorangeweht. Jedoch konnte sich niemand mehr für diese Tatsache verbürgen und darum wird es sich
hierbei möglicherweise um eine Fabel gehandelt haben. Kurz vor 1850 wurde dann eine neue Fahne angeschafft, aus gelbem Tuch mit grünem Eichenkranz. Die Stangenspitze zierte das springende
Niedersachsenross. Der Zug ging durch die Straßen des Orts, und seit den Freiheitskriegen sang man mit Begeisterung dazu das Lied von Napoleon, dem Schustergesellen. Bei wohlhabenden Leuten wurde
Halt gemacht und sie mussten dann einen kleinen Beitrag zu den Unkosten geben. Zu guter Letzt begab sich der König zum Gemeindehaus, wo die Väter des Dorfes inzwischen ihre Schlussrechnung
gemacht hatten und der neuen Majestät gern den üblichen „Ryksdaler“ als Spende des Dorfes überreichten. Der Nachmittag wurde danach verwendet, um die Beihilfen gemeinsam fröhlich zu verzehren und
abends war man froh, wieder einmal tüchtig „Sünte Peter“ gefeiert zu haben. An einen Tanz zum Abschluss bei einer „Treck-Harmonika“ wagte man nicht einmal zu denken. Stattdessen setzte man sich
gemächlich an das Herdfeuer und ließ die „Hossenföttel“ – heute sagen wir Strümpfe – und die Holzschuhe trocknen, denn meist war der 22. Februar ein feuchter Tag und man tüchtig nass geworden.
Vor allem trockneten auch die Teilnehmer, die beschuht gewesen waren, möglichst gut ihre Schuhe, denn sie hatten damals noch Seltenheitswert und durften nur an großen Festtagen getragen werden,
wozu die Uelser eben „Sünte Peter“ rechneten. Waren die Schuhe wieder trocken, so stopfte man sie sorgfältig mit Heu, nachdem sie selbstverständlich vordem mit Tran eingeschmiert worden waren.
Ein Paar Lederschuhe das war schon ein Wertobjekt. Vor Ostern kamen sie dann bestimmt nicht wieder in Gebrauch.
Allmählich ist dann das alte Volksfest eingeschlafen, wozu wahrscheinlich verschiedene Ursachen beigetragen haben mögen. Die Jugend Uelsen hat noch etwas länger daran festgehalten als die älteren Dorfgenossen. Sie schossen mit dem Flitzebogen auf einen Vogel, den man wie früher aus einem Torf und Hühnerfedern angefertigt hatte. Als aber andere Feste, wie nach Gründung des Kriegervereins das Sedan Fest und später auch das Schützenfest aufkamen, verlor auch die Jugend die Freude an ihrem „Sünte Peter“, und jetzt gehört dieses Uelser Fest längst der Vergangenheit an. Fraglos hatte man es vordem auch in den anderen Grafschafter Ortschaften irgendwie begangen, denn der Petri-Tag hatte seinerzeit überall die gleiche Bedeutung hinsichtlich der Zahlung von Steuern und Ab gaben, jedoch war dort eben das Feste feiern als solches in jenen Orten schon längst aufgegeben worden, als man in Uelsen noch tüchtig, wenn auch den Zeiten gemäß, bescheiden feierte den Tag “Sünte Peter“.