1. Frühmittelalter
Diözesan (Bistum)und Gaueinteilung (Gebietseinteilung);
Entwicklung der Pfarr- und Gerichtsbezirke
Während des Mittelalters lag das Land an der Vechte
im Einflussbereich der beiden kirchlichen Mittelpunkte
Münster und Utrecht (Vgl. Abb. 5).
Die Polarität (politische Gegensätze zw. zwei Gruppen) dieses doppelgesichtigen Durchgangsgebietes findet damit erneut ihren Ausdruck: das Vechtegebiet wird, dem Verlauf des Flusses entsprechend, gleichsam von zwei Seiten her aufgeschlossen : von der westfälischen Tieflandsbucht und vom
Gebiet der Rheinmündungen.
Utrecht ist die ältere der beiden Bischofsstädte. Die Kirche wurde von Köln her für die Mission der Friesen begründet und durch angelsächsische Missionare ausgebaut und gefestigt. Ihr wurden außer friesischen auch altfränkische Gebiete zugeteilt, darunter die Twente. Aus Utrecht
kam auch der Friese Liudger, der unter Karl dem Großen das Bistum Münster begründete. Abgesehen von einigen Gauen an der friesischen Küste, die Liudger zur Missionierung zugeteilt erhielt, bildeten. die Kirchspiele der oberen Grafschaft Bentheim den nördlichsten Vorsprung des Bistumsgebietes.
Dadurch, das die Bischofskirchen von Münster und Utrecht beide dem Stuhl des Erzbischofs von Köln unterstellt waren, wurde auch ihre Grenze nicht willkürlich oder zufällig festgelegt, sondern nach einem festgesetzten Plan, der an überlieferte Gau- und Siedlungsgrenzen anknüpfte.
Die Grenze der beiden Diözesen Münster und Utrecht, die mitten durch das heutige Gebiet der Grafschaft hindurchführt, trennt daher zugleich auch weltliche Hoheitsgebiete. Das Gefühl für diese Scheidelinie ist durch die Jahrhunderte hindurch dauernd lebendig geblieben,
etwa wenn in einer mittelalterlichen Urkunde vom Kloster Frenswegen unweit Nordhorn
ausdrücklich gesagt wird, das es im Grenzgebiet Westfalen und der Twente gelegen sei.
Später trennt diese Linie die obere von der niederen Grafschaft bzw.die Vogtei Nordhorn von der Vogtei Neuenhaus.
Die Diözese Osnabrück, die im Nordosten an ein kurzes Stück der niederen Grafschaft angrenzte, hat an der Christianisierung des Gebietes der Vechte keinen Anteil gehabt, da die Moor- und Ödlandgebiete westlich der Ems den Zugang von dieser Seite her erschwerten. Die heutige Gliederung der katholischen Kirche, in der die gesamte Grafschaft Bentheim zum Bistum Osnabrück gehört, ist
erst jüngeren Datums (Bulle Papst Pius' VII. zur neuen Umschreibung der norddeutschen Diözesen entsprechend der politischen Einteilung 1821).
In der Niedergrafschaft, die als Teil des Twentegaues zum Bistum Utrecht gehörte, war Uelsen der erste erkennbare Mittelpunkt.
Hier war die Stätte eines Gogerichts, als dessen frühe Inhaber die auf einer Burg südlich der
Kirche ansässigen Herren von Toren erscheinen. Die Kirche mit dem Patrozinium des angelsächsischen Missionars Werenfried ist sicherlich schon lange vor der ersten urkundlichen Erwähnung (1131) von Utrecht aus begründet worden. Sie hat mehrere Tochterkirchen und kann daher als Urpfarrkirche des Nordtwentegaues bezeichnet werden (Vgl. Abb. 6).
1131 wurde sie durch den Bischof dem Kapitel von St. Peter in Utrecht zugeteilt. Von Uelsen abgezweigt sind die Kirchen in Wilsum (Kapelle St. Antonii, seit 1511 mit eigenem ständigen Kaplan), Veldhausen (Kirche St.Johannis d.T., 1317 erstmals genannt) und Lage (zunächst Burgkapelle, ref. Kirche seit 1687). Von Veldhausen sind wiederum die Pfarrkirchen von Neuenhaus (1370) und
Georgsdorf (1867) abgezweigt.
Im nördlichen Teil der Niedergrafschaft hatte Emlichheim von vornherein eine zentrale Stellung (Vgl. Abb. 6). Eine Abzweigung von dem augenscheinlich
älteren Uelsen kann nur vermutet werden. Aus einer alten Kapelle entwickelte sich die Pfarrkirche, die 1312 zuerst erwähnt wird.
Emlichheim war Sitz eines Gogerichts, das aus der Hand des Bentheimer Grafen nacheinander in den Besitz der Herren-Geschlechter von Borkeloh und von Gramsbergen gelangte und schließlich (1440) von den Bentheimern zurückgekauft wurde. Als „Herrlichkeit Emlichheim” hat der nördliche Teil der niederen Grafschaft auch später noch eine rechtliche Sonderstellung gehabt. Tochterkirchen von Emlichheim befinden sich in Laar (im 14. Jh. als Eigenkapelle der Herren von Laar bezeugt, wahrscheinlich kurz vor 1555 zur Pfarre erhoben) und Arkel (unweit Hoogstede, alte Antoniuskapelle, eigenes Kirchspiel seit 1819). In Laar bestand auch ein grundherrliches Gericht, das 1722 mit dem von Emlichheim vereinigt wurde.
Für die Obergrafschaft kann die Zugehörigkeit zu einem alten Gau nicht wie bei der Niedergrafschaft einwandfrei festgelegt werden. Fest steht lediglich das sie zur Diözese Münster und zum westfälischen Teil des alten Herzogtums Sachsen gehörte. Die Annahme, das sie zum Gau Bursibant zu rechnen sei, ist heute umstritten. Urkundlich bezeugt ist dieser Gau lediglich für Rheine. Dieses Urkirchspiel hat mit seinen Tochtergemeinden sicherlich den Kern des Bursibantgaues gebildet. Da nun das Gebiet um Rheine zusammen mit dem der oberen Grafschaft Bentheim kirchlich zum Archidiakonat des Propstes von St. Ludgeri in Münster gehörte, meinte man, das dieser Gau sich ebenso weit ausgedehnt haben müsse.
Die These von der Übereinstimmung von Gauen und Archidiakonaten hat sich aber längst als unhaltbar erwiesen. Außerdem besteht siedlungsgeographisch zwischen
dem Gebiet der Ems um Rheine und dem Vechtegebiet zwischen Ohne und Nordhorn keinerlei Zusammenhang, da beide außer der schmalen Moorbrücke bei Salzbergen (dort wo heute die Bahn von Rheine nach
Bentheim verläuft) keine Verbindung haben.
Man scheint daher heute wieder auf die Auffassung eines älteren Forschers zurückzukommen, der einen eigenen „Gau Bentheim" angenommen hatte, eine Meinung, die man später im Verlauf der eben angedeuteten Archidiakonatstheorie beiseite gerückt hatte.
Den ursprünglichen Namen dieses denkbaren Gaues können wir natürlich nicht mehr feststellen.
Wollte man ihn nach seinem eigentlichen Mittelpunkt bezeichnen, so täte man freilich besser, ihn „Gau Schüttorf“ zu nennen (vgl. Abb. 7).
denn dieser Ort, nicht Bentheim, war Sitz des Gogerichts und der ältesten Pfarrgemeinde.
Die Kirche ist sehr wahrscheinlich eine Gründung Liudgers oder seines Vorgängers Bernrad und kann als Mutterkirche des gesamten Obergrafschaftsgebietes bezeichnet werden; Kirchenpatron ist der hl. Laurentius. Aus einer Urkunde von 1208 geht hervor, das dem Pfarrer von Schüttorf für
das Gebiet der oberen Grafschaft gewisse Archidiakonatsrechte zustanden; auch dies spricht für die Unabhängigkeit des „Gaues Schüttorf” vom Bursibantgau. Als erster Ort in der Grafschaft erhielt Schüttorf 1294 Stadtrechte.
Als Tochtergemeinde von Schüttorf entstand die Pfarrei Gildehaus, die zuerst 1188 erwähnt wird (Patrozinium: St. Anna). Die Meinung, das auch Salzbergen, wo die Grafen von Bentheim seit 1326 das Patronatsrecht hatten, von Schüttorf abgezweigt sei, wird neuerdings bestritten,
da dieser Ort zum Gogericht Rheine gehörte, von wo aus die Zweiggründung unter Mitwirkung eines Herrengeschlechts erfolgt sein wird. Von dem Gildehauser Pfarrbezirk wurde dann schließlich die Pfarrgemeinde Bentheim abgetrennt, die 1321 die volle Pfarrgerechtigkeit erhielt.
Schutzheiliger der Kirche ist Johannes der Täufer. Im äußersten Südosten der Grafschaft hatte das Kirchspiel Ohne eine Mittlerrolle zwischen Nord und Süd; es war sowohl dem Schüttorfer Gebiet wie dem südlich angrenzenden Gau Scopingun verbunden (Vgl. Abb. 6). Erst 1444
wurde der Streit um die Zugehörigkeit dieser vermutlich im 11.Jahrhundert begründeten und dem hl. Odulf geweihten Kirche entschieden. Die Bauernschaft Haddorf kam damals zum Kirchspiel Wettringen und unter das Gogericht zum Sandwell; sie gehört daher heute zum
Lande Nordrhein-Westfalen, während die übrigen, damals dem Gericht Schüttorf zugeteilten Teile der Pfarrei mit der Grafschaft Bentheim an das heutige Land Niedersachsen gekommen sind.
Ebenso wie in der Niedergrafschaft neben den alten Mittelpunkt Uelsen für den nördlichen Teil ein eigener Hauptort (Emlichheim) trat, so erhielt auch die obere Grafschaft in ihrem nördlichen Teile frühzeitig einen eigenen, selbständig neben Schüttorf tretenden kirchlichen und gerichtlichen Mittelpunkt, nämlich Nordhorn (Vgl. Abb. 6 u. 7).
Die Kirche dieses Ortes wurde als Eigenkirche auf dem Boden des 1184 erwähnten bischöflichen Haupthofes errichtet. Sie kann auch aus siedlungsgeographischen Gründen nicht gut auf Liudger selbst zurückgehen, dessen Patrozinium sie freilich trägt, sondern wird erst einige Zeit später begründet und mit dem Kirchspielgericht ausgestattet worden sein, das 1319 als altes Lehen der
münsterischen Bischöfe erwähnt wird.
1379 erhielt Nordhorn durch Graf Bernd l. von Bentheim das Stadtrecht und wurde damit nach Schüttorf und Neuenhaus die dritte Stadt in der Grafschaft. Nach Süden zu wurde von Nordhorn das Kirchspiel Brandlecht abgezweigt, wo die Edelherren dieses Namens vor 1313 (erste Erwähnung) die Kirche St. Christoph errichteten. Auch das Kloster Wietmarschen, das der Benediktiner Hugo von Büren 1152 inmitten von Wiesen „wyt in de mersch" gründete, gehört als Teil der Bakelder Mark zum
Nordhorner Bereich. Der Kirche dieses Klosters, die dem Evangelisten Johannes geweiht wurde, ist später eine Pfarrgemeinde angegliedert worden, die heute noch im katholischen Bekenntnis fortbesteht, da das Kloster sich der Reformation nicht angeschlossen hatte.
Auch die Kirche in Engden, die auf eine alte grundherrliche Antoniuskapelle zurückgeht, ist katholisch; sie gehörte lange Zeit zum Pfarrbezirk von Emsbüren. Abgesehen von diesen Ausnahmen bestand die geschilderte Kirchspieleinteilung nach der Reformation im reformierten Bekenntnis weiter und blieb nach wie vor in enger Wechselwirkung zur weltlichen Gebietsgliederung und Verwaltung.
Die seit der Gegenreformation aufgebaute Organisation der katholischen Kirche knüpft teilweise auch
an alte Überlieferungen an, ist jedoch, da sie nur eine Minderheit der Bevölkerung erfasst, auf die allgemeinen politisch-territorialen Verhältnisse ohne Einfluss geblieben.
Als Ergebnis dieses Überblicks kann herausgestellt werden, das sich schon frühzeitig eine Gliederung der Grafschaft in zwei mal zwei Hauptteile entwickelt hat. Die niedere Grafschaft, die von Utrecht her, und die obere, die von Münster aus beeinflusst und erschlossen wurde,
zerfallen jede sich in einen südlichen und einen nördlichen Bezirk weltlicher und kirchlicher Verwaltungs- und Gerichtshoheit, deren Mittelpunkte auf der einen Seite Uelsen und Emlichheim und auf der anderen Schüttorf und Nordhorn sind. Dabei liegt das Schwergewicht in beiden Fällen bei dem südlicheren und älteren der beiden elliptischen Brennpunkte, nämlich Uelsen und Schüttorf.
Im folgenden wird nun darzulegen sein, in welcher Weise und durch welche Kräfte es gelang, die bisher am Ober- und Unterlauf der Vechte auseinanderstrebenden Richtungen zusammenzufassen und so dieses anfangs doppelsichtige Land an der Vechte politisch zu einigen.
3. Spätmittelalter
Die Begründung der politischen Einheit des Kreisgebietes durch die Grafen von Bentheim.
Das Territorium der Grafschaft Bentheim ist eine Schöpfung des Geschlechts der Grafen von Bentheim (vgl. Abb.7). Inmitten der von zwei Seiten her wirkenden
geistlichen Gewalten verstanden sie es, im Vechtegebiet eine selbständige weltliche Herrschaft zu errichten und gegen mannigfaltige Widerstände zu behaupten. Ihr Stammsitz ist auf altsächsischem
Boden errichtet und gibt daher der entstehenden Grafschaft von vornherein eine stärkere Ausrichtung nach Süden und Osten, während den von Nordwesten her wirkenden Kräften zumeist im Kampf
begegnet werden musste.
Auf einem hochragenden Sandsteinfelsen des ostwestlich streichenden Bentheimer Rückens erstand der stolzeste und eindrucksvollste Burgbau
Nordwestdeutschlands. Seine Anfänge sind in ebenso sagenhaftes Dunkel gehüllt wie die des Geschlechts, das ihn errichtete. Seit Karls des Großen Zeiten werden hier Grafen als Träger königlicher
Macht gewohnt und in den Gauen der Umgebung Gericht gehalten haben. Aus sicherer Überlieferung wissen wir erst, das der um Süpplingenburg und Königslutter in Ostfalen begüterte Herzog Lothar von
Sachsen, der später Kaiser wurde, die Burg 1116 im Kampfe gegen Kaiser Heinrich V. zerstörte. Bald danach erfahren wir von Kämpfen gegen die Utrechter Bischöfe, in die auch die Grafen von Holland
als Freunde der Bentheimer eingriffen.
Ihrem Hause entstammte auch das Bentheimer Grafengeschlecht, das von 1165 bis 1421 auf der Burg herrschte. In diesen Jahrhunderten geschahen die
entscheidenden Schritte zur Begründung der Bentheimer Landeshoheit im Vechtegebiet zwischen Ohne und Laar.
Der Gegenpol der Bentheimer war am anderen Ende dieses Landstrichs zunächst der Burggraf von Coevorden. Um die Zölle, die dieser den vechteabwärts mit Bentheimer Sandstein und anderen Gütern beladenen Schiffen mit Kurs auf Zwolle abnahm, kam es wiederholt zum Streit. Ein Bentheimer Graf gewann zeitweilig selbst das Burggrafenamt, ein anderer scheute selbst die Unterstützung des Utrechter Bischofs nicht, um den Widersacher niederzuringen. Wenngleich es den Bentheimern nicht gelang, Coevorden dauernd zu behaupten, so hatten sie doch im Verlauf dieser Kämpfe im Nordtwentegau Fuß gefasst und suchten hier weiterhin ihre Macht zu festigen, um so den Handel auf der Vechte, der ihrer Macht den wirtschaftlichen Rückhalt bot, zu verteidigen.
Die eigentliche Keimzelle der Bentheimer Macht war der Schüttorfer Bezirk. Hier hegten und schützten sie das von alters her bestehende Gericht. Aus dem 1184
erwähnten Schüttorfer Haupthof, den die Grafen besaßen, entwickelte sich die Burg Altena als gräflicher Amtssitz. Der zu ihren Füßen aufblühenden Marktsiedlung widmeten die Grafen ihre besondere
Fürsorge; Graf Egbert (1277-1305) ließ sie befestigen und verlieh ihr Stadtrechte. Aus Gildehaus gewannen die Grafen den graugelben Sandstein, den sie vechteabwärts in die gesteinsarmen
niederländischen Küstengebiete verschiffen ließen. Ausgangspunkt dieser Vechteschiffahrt war Ohne,wo sich eine alte, von den Bentheimern geschützte Zollstation befand.
Der Schüttorfer Gogerichtsbezirk mit den Kirchspielen Schüttorf, Gildehaus und Ohne bildete somit die Ausgangsstellung, von der aus die Bentheimer Grafen
längs der Vechte erobernd vorgingen, um ihren kleinen Flußstaat zu begründen.
Der Nachfolger des Grafen Egbert, Johann II. (1305-1332) führte den Ausbau dieses Territoriums bereits zu einem gewissen Abschluss (Vgl. Abb. 7). 1308
belehnte ihn der Bischof von Münster mit dem Gogericht zu Emsbüren. Diese Belehnung wurde 1319 erneuert, als der Bischof dem Grafen auch noch das Gogericht in Nordhorn zu Lehen gab. In späteren
Verträgen mit dem Bischof (1444, 1452) wurde festgesetzt, das das Gericht in Emsbüren dem Bischof vorbehalten bleiben, während die zugehörigen Bauernschaften unter das gräfliche Gericht fallen
sollten.
Da auch der Schultenhof in Emsbüren (die spätere, Domäne) bischöflich blieb, gelang es den Grafen nicht, die Landeshoheit in diesem für Münster höchst
wichtigen Durchgangsstreifen zwischen dem oberen und dem unteren Stift in eigene Hände zu bekommen.
Anders in Nordhorn, wo unter dem Schutz der Grafen ein städtisches Gemeinwesen entstand.
Auf einer Vechteinsel wurde ein festes Haus errichtet, das ähnlich wie die Burg Altena in Schüttorf als gräflicher Amtssítz diente. 1578 verkaufte Graf Amold II. diese Burg dem Kloster Frenswegen. Sie wurde daraufhin für den katholischen Gottesdienst hergerichtet die heutige Nordhorner katholische Kirche St. Augustinus ist auf ihrem Grunde entstanden.
In der Niedergrafschaft wurde die Landeshoheit der Grafen von Bentheim dadurch begründet,
das GrafJohann ll. von dem Edelherrn Eilard von Toren das Gericht zu Uelsen im Jahre 1312 gegen Zuerkennung gewisser Zehnten und sonstiger Rechte erstand. Außer Veldhausen gehörten hierzu auch noch die Kirchspiele Ootmarsum und Tubbergen, die später nicht behauptet werden konnten.
Zur Sicherung dieses im Nordtwentegau gelegenen Gebietes, über das die Bischöfe von Utrecht die Oberlehnshoheit beanspruchten, erbaute Graf Johann an der Dinkel, kurz vor deren Einmündung in die Vechte, die Burg Dinkelrode, die jetzt das „Neue Haus” der Grafen wurde und für die niedere Grafschaft die Rolle des Schlosses Bentheim übernahm. Zu ihren Füßen erwuchs, von den Grafen lebhaft gefördert, die Siedlung, die 1369 durch Graf Bernd I. (1365-1421) das Stadtrecht erhielt und damit zur zweiten Stadt der Grafschaft wurde.
Neuenhaus blieb seither ständiger Amtssitz und ist noch heute (1953) als Sitz eines Amtsgerichts der Verwaltungsmittelpunkt der unteren Grafschaft.
Graf Johann Il. war schließlich auch, wie wir aus einer Urkunde erfahren, bereits Herr des Emlichheimer Bezirks. Offenbar hatte er aber noch nicht die Machtmittel, um diesen Außenbezirk schon jetzt zu behaupten, und so veräußerte er 1324 das Gogericht zu Emlichheim nebst
weiteren Rechten und Gütern an eine Familie des stiftischen Adels in der Diözese Utrecht. Dies gab ihm die Möglichkeit zur Verstärkung seiner Stellung in den Kirchspielen Uelsen und Veldhausen und zum weiteren Ausbau von Dinkelrode - Neuenhaus.
Von Wichtigkeit waren ferner noch die Holzgerichte, die in den einzelnen bäuerlichen Markenverbänden bestanden. Sie standen durchweg unter adeliger Schirmherrschaft.
Vermöge ihrer durch den Sandsteinhandel hervorgerufenen wirtschaftlichen Machtstellung gelang es den Bentheímer Grafen, nach und nach die wichtigsten durch
Kauf in ihre Hände zu bringen. Das bedeutendste und zukunftsreichste dieser Holzgerichte war wohl das von Osterwald im Kirchspiel Veldhausen. Graf Bernd I. erwarb es 1380 und machte dadurch
seinen Nachkommen die Gründung der Moorkolonien Piccardie (1663), Georgsdorf (1775-1782 als „Neu-Piccardie” gegründet, später zu Ehren König Georgs V. von Hannover umbenannt) und um Adorf (1775)
möglich.
Von Bedeutung für den Ausbau der Landeshoheit in der Grafschaft Bentheim war ferner die Gründung der Klöster Wietmarschen (1152) und Frenswegen (1394). Bei
beiden Gründungen wirkte das Grafenhaus mittelbar oder unmittelbar mit. In Wietmarschen hatten die Grafen als Herren der Altena in Schüttorf das Vogteirecht; ihrem Hause entstammten mehrere
Äbtissinnen.
Das Augustinerchorherrenstift Frenswegen bedachten die Grafen mit reichen Schenkungen; für den Bau der Klosterkirche stellten sie die Steinbrüche von
Bentheim zur Verfügung.
Bis zur Reformation war Frenswegen Familienkloster und gräfliche Begräbnisstätte.
Nach dem Tode des kinderlosen Grafen Bernd I. (1421) kam die Dynastie Götterswick auf den Bentheimer Grafenstuhl. Everwin I. (1421 -1454) gewann durch Heirat die Herrschaft Steinfurt, die später (1495) zur Reichsgrafschaft erhoben wurde und fort an dem Hause Bentheim verbunden blieb (vgl. Abb. 7); sie hat jedoch weiterhin ihr Eigenleben geführt und ist verwaltungsmäßig niemals in das Bentheimer Gebiet einbezogen worden. In der Niedergrafschaft kam es nach neuen Kämpfen endlich zumFrieden mit dem Utrechter Hochstift. Everwin empfing das vorher verpfändete Neuenhaus als bischöfliches Lehen zurück. Die Herrlichkeit Emlichheim dagegen, die er 1440 durch einen Kaufvertrag mit dem Herrn von Gramsbergen wieder mit Bentheim verband, wurde durch Kaiser Friedrich III. als unmittelbares Reichslehen anerkannt und somit dem Utrechter Oberhoheitsanspruch entzogen.
Eine gewisse Selbständigkeit innerhalb des Emlichheimer Bezirks behielt Laar, wo seit 1228 eine Nebenlinie des gräflichen Hauses Bentheim dem grundherrlichen Gericht vorstand. Die Gutsherrschaft blieb Bentheimer Lehen und wurde als solches 1722 nach dem Aussterben des Geschlechts eingezogen.
Die territoriale Entwicklung der Grafschaft war somit am Ende des Mittelalters im wesentlichen abgeschlossen. Von dem heutigen Kreisgebiet blieb lediglich Lage außerhalb der gräflichen Botmäßigkeit. Die hier bestehende selbständige Herrlichkeit geriet zwar zeitweilig unter die Abhängigkeit des Utrechter Hochstifts, konnte sich aber später sowohl von den Niederlanden als auch vom Reiche unabhängig halten und bildete somit vor dem Ende des alten Reiches einen eigenen Zwergstaat. Erst 1815 kam die Herrlichkeit Lage mit der Grafschaft Bentheim an Hannover, wo sie zunächst weiterhin einen eigenen Gerichts- und Verwaltungsbezirk bildete, bis sie endlich 1849 dem Amt Neuenhaus angegliedert wurde.
Autor:
Studienrat Walter Rosien, Hannover
Quelle:
Die Landkreise in Niedersachsen
Der Landkreis
Grafschaft Bentheim
Erschienen im Jahre 1953
Entwurf von K. Hartmann